Die neuen Glasfenster der evangelischen Kirche

"Ins Wasser fällt ein Stein…"


Nun sind die von mir entworfenen Glasfenster schon seit geraumer Zeit ein Bestandteil der evangelischen Kirche in Weisendorf geworden. Einige Gemeindeglieder haben sich vielleicht bereits an den neuen Raumeindruck gewöhnt, andere werden sicher noch dem alten, lichtreicheren Zustand nachtrauern.
Auf jeden Fall müssen sich die beiden farbigen Scheiben, von Künstler und Werkstatt freigegeben, in der jahrhundertealten Kirche jetzt künstlerisch selbst behaupten und nur im seltensten Fall wird es die Möglichkeit geben, dem Betrachter mit erläuternden Worten zur Seite zu stehen. Deswegen ergreife ich gerne noch einmal die Gelegenheit, den langen und arbeitsaufwändigen Entstehungsprozess aus der Sicht des Künstlers zu schildern und damit vielleicht eine zusätzliche kleine Hilfe zum Verständnis der Werke zu geben.

Die Fenster einer Kirche zu gestalten stellt für einen Maler eine besondere Herausforderung in technischer und inhaltlicher Hinsicht dar.
Eine Kirche ist ein besonderer Raum mit sehr speziellen Erfordernissen. Das wurde mir auch bei meiner ersten Besichtigung der Weisendorfer Kirche klar. Die eigentlich recht kleine Fensterfläche musste doch durch ihre Lage im Chorbereich dominierend wirken, vor allem in dem sonst sparsam ausgestatteten Raum. Auch der Gedanke, dass ein dort befindliches Werk mit größerer Wahrscheinlichkeit Jahrhunderte überdauert als die Bilder einer Kunstsammlung oder eines Wohnzimmers, hat meine Gedankengänge und ersten suchenden Entwurfszeichnungen geprägt. Altbekannte und vielfach verwendete religiöse Symbolik war darauf zu sehen in vorsichtigen, subtilen Grauschattierungen. Diese Ideen in zahlreichen Skizzen weiter entwickelnd, hatte ich nach einigen Monaten mehrere gleichwertige Entwürfe zur Hand, die ich dem Pfarrer, dem Kirchenvorstand und dem Geldgeber zur Begutachtung vorlegen konnte. Die Kirchenvorsteher, durch einen Atelierbesuch schon vertraut mit mir und meiner Arbeit, wählten nach eingehender Betrachtung und Beratung eines der Entwurfspaare aus.
Alles schien einen reibungslosen Verlauf zu nehmen, der Kirchenvorstand war zufrieden, ich war es auch – aber nur kurzzeitig. Irgendetwas, was ich nicht wirklich definieren konnte, störte mich an meinem eigenen Entwurf. Je länger ich mich mit ihm beschäftigte, desto fremder, konstruierter wirkte er mir; etwa so, als hörte ich mich selbst in einer fremden Sprache reden.
In dieser Situation der Verunsicherung besuchte mich der damalige Kunstbeauftragte der Landeskirche Kirchenrat Hildmann im Atelier. Das intensive Gespräch brachte ein eindeutiges Ergebnis: Herr Hildmann ermutigte mich, einen vollkommen neuen Versuch zu unternehmen und zwar – das war der Punkt, den ich mir selbst bisher nicht eingestanden hatte – eine Gestaltung, der nicht die gängige christliche Symbolik zugrunde liegt, sondern die aus meinem bisherigen malerischen Schaffen entwickelt sein sollte.
Man kann sich fragen, warum ich das nicht bisher schon gemacht hatte. Nun ja, ich bin im Großen und Ganzen betrachtet ein Landschaftsmaler; mein bevorzugtes Motiv sind Eisberge und die Wasserflächen, in denen sie treiben. Da schien mir kein Weg zu führen zu einer brauchbaren religiösen Formsprache (auch wenn die Landschaftsmalerei seit C. D. Friedrich durchaus Anstalten machte, "auf die Altäre zu kriechen", wie ein Zeitgenosse bemerkte). Aber nun, durch den Zuspruch ermutigt, fiel diese Hemmung. Und augenblicklich – der Herr Kirchenrat war gerade fortgefahren, ich stieg auf mein Fahrrad – war die Idee da!
Über "Inspiration" ist schon viel nachgedacht und geschrieben worden, ergründen kann man sie nicht. Als rationaler Mensch, der ich bin, habe ich die Erfahrung gemacht, dass die meisten Ideen hart erarbeitet werden müssen. Aber manchmal gibt es eben doch diesen irrationalen und berauschenden Moment, den die Nichtkünstler unter den Menschen gerne für das eigentlich Künstlerische halten, in dem eine vollständige und deutliche Vorstellung von etwas Neuem in einem Augenblick im Gehirn aufblitzt und sich sofort als einzig richtige Lösung darstellt.
In diesem Fall verknüpfte sich in meinem Kopf die Erinnerung an das im linken Chorraum befindliche Taufbecken mit der Wasserthematik meiner Landschaftsbilder. Es erschien mir mit einem Mal möglich, mit Hilfe des symbolträchtigen Elementes Wasser eine Darstellung zu schaffen, die sowohl ihre Herkunft aus meinem malerischen Schaffen nicht leugnete, als auch in vielfacher Weise metaphorisch deutbar und dadurch auch in einem christlichen Kontext sinnfällig war.
Der Einfall, der sich in bildhafter Deutlichkeit eingestellt hatte, war folgender: zwei gegensätzlich gestaltete Wasserflächen sollten den durch das Taufbecken einerseits und eine Grablege andererseits geprägten Chorräumen entsprechen. Den Neubeginn, den eine Taufe darstellt, wollte ich mit einem wie durch einen Steinwurf ausgelösten Wasserspritzer versinnbildlichen; die Ruhe des Todes, der doch kein Ende ist, mit den konzentrischen Wellen, die noch lange nach einem Steinwurf die Wasseroberfläche strukturieren.
Um diese Idee, die ich gleich in kleinen Skizzen festhielt, durch eigene Anschauung zu unterstützen, unternahm ich mit meinem Sohn und einem Photoapparat in den nächsten Tagen Ausflüge zum nächstgelegenen Weiher und ließ ihn Steine ins trüb-grüne Wasser werfen. Die aufspritzenden Fontänen und darauf folgenden Wasserringe versuchte ich photographisch fest zu halten (was übrigens eine schwierige Koordinationsübung ist, denn selten schlägt der Stein an dem Punkt ein, den die Linse fokussiert). Diese Photos, so schlecht sie waren, halfen dennoch, die Skizzen allmählich zu einem aussagefähigen Entwurf zu verfestigen.
Nun galt es, Pfarrer und Kirchenvorstand abermals zu informieren und mit dem vollkommen geänderten Entwurf vertraut zu machen, vor allem aber die künstlerische Notwendigkeit meines Tuns zu vermitteln. Ich bin froh und dankbar, dass die Kirchenvorsteher auch ein zweites Mal bereit waren, meinem nun ganz anders gearteten Vorschlag zu folgen. Nach der Genehmigung des Eingriffs durch das Denkmalamt stand dann als letztes und entscheidendes Problem die technische Umsetzung meiner Entwürfe bevor. Die bei meinem ersten Vorschlag noch angestrebte Bleiverglasung, wie man sie traditioneller Weise bei Kirchenfenstern erwartet, schien mir dem Element Wasser in meinem neuen Entwurf nicht angemessen. Ein erstes Probestück mit Glasgranulat und Malerei, angefertigt von einer lokalen Glasfirma, scheiterte vollkommen. Erst die eingehende Beratung mit der renommierten Würzburger Firma Rothkegel ließ meine Hoffnung auf eine geglückte Übertragung des gemalten Entwurfs in das Medium Glas steigen.
Die tatsächliche Realisation der Glasfenster geschah dann, gemessen an der langen, immer wieder durch Korrekturen und Neuanfänge gekennzeichneten Planungsphase, sehr schnell. In drei, allerdings sehr intensiven und spannenden Arbeitstagen zusammen mit einem Mitarbeiter der Firma Rothkegel und jeweils darauf folgenden drei Bränden der bearbeiteten Glasplatten, erhielten die Fenster ihr jetziges Aussehen. Aufregend waren diese für mich vor allem deshalb, weil die Arbeitsabläufe natürlich von der mir vertrauten Malerei erheblich abwichen und das Ergebnis nach dem Brennen praktisch nicht mehr korrigierbar war. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die farbliche Wirkung der bearbeiteten Fläche vor dem Brennen völlig verschieden ist von dem Aussehen nach dem Brand. Ich hatte das Gefühl blind zu arbeiten und war ganz auf die Erfahrungswerte des assistierenden Mitarbeiters angewiesen. Die Brennvorgänge verliefen erfolgreich und mit Erleichterung konnte ich feststellen, dass die Materialisierung des Entwurfs im Glas eine starke optische Wirkungskraft entfaltet.
Ich hoffe, dass diese Wirkung sich nun und in Zukunft in positiver Weise im Kirchenraum bewährt und wünsche mir und der Gemeinde, dass auch bei einem Kirchenjubiläum in weiteren 650 Jahren noch die kräftigen Farben des Glases leuchten und das Bild vom Wasser, in das ein Stein fällt, seine Verständlichkeit bewahrt.

        Gerhard Rießbeck