Zu den Komponisten und Stücken:


Louis Marchand war ein zu seiner Zeit gefeierter und weit gereister Virtuose und Lehrer, zuletzt in Paris. Er gehörte zu den vier „organistes du Roi“. Auf seiner Reise durch Deutschland soll er sich einem geplanten Wettspiel mit J.S. Bach in Dresden entzogen haben, nachdem er Bach üben gehört hatte. Der Grand Dialogue (1740) ist ein festliches Stück im typisch altfranzösischen Stil des Dialogisierens von Grand Jeux (Zungenplenum der gekoppelten Klaviere), Cornett und dem Zungenplenum des Positivs. Die geforderten speziellen Klangfarben sind auf der Weisendorfer Orgel in charakteristischer Weise vorhanden.

Jean Langlais, seit seinem 16. Lebensjahr erblindet, war einer der fruchtbarsten Orgelkomponisten Frankreichs im 20. Jh. und vereinte in typischer Weise große Fähigkeiten als Improvisator, Lehrer und Tonschöpfer. Er bekleidete von 1945 bis 1988 das Organistenamt an der Pariser Kirche St. Clotilde, an der einst auch C. Franck tätig war. Seine Kompositionen vereinen kunstvolle Beherrschung der klassischen Satzlehren und typisch französische Klangsinnlichkeit. Hommage à Frescobaldi von 1952 ist eine Widmung an den großen Renaissancemeister Italiens und bezieht sich auf ein Ricercarthema. Die Mehrzahl der Sätze bezieht sich auf Teile der Messe, in diesem Konzert erklingen Kyrie und Communion. Der Epilogue ist ein virtuoses Kabinettstück, da es bis auf die letzten Akkorde nur auf dem Pedal mit den Füßen gespielt wird und in dem geforderten vierstimmigen Spiel die technischen Möglichkeiten bis an die Grenze auslotet.

In seinen Partiten, also Variationen über einen Choral, haben wir frühe Werke Bachs (ca. 1708) vor uns, die an Vorbilder (Pachelbel, Böhm) anknüpfen und teilweise später noch einmal überarbeitet worden sind. Spiel- und Variationsfreude im Umgang mit der Choralmelodie überwiegen die direkte Textausdeutung, die hier deutlich bei der letzten Strophe „Wenn du die Toten wirst / an jenem Tag erwecken“ möglich ist, die in ihrer Dialogstruktur Verbindungen zu Marchand anklingen lässt.
Toccata und Fuge d-moll ist wohl das bekannteste Orgelstück überhaupt, wird freilich von der Musikwissenschaft mit guten Gründen heute Bach abgesprochen, wobei die positive Zuweisung an einen anderen Komponisten noch nicht gelungen ist. Es spricht viel dafür, dass dem impulsiven und affektreichen Stück eine originale, wenn auch verloren gegangene Violinkomposition J.S. Bachs zugrunde liegt, die von einem Schüler Bachs für Orgel bearbeitet wurde. Die Interpretation orientiert sich an einer empathischen, nicht - wie häufig zu hören - pathetischen Spielweise und wird dadurch dem virtuosen Charakter des Stücks besser gerecht.

Der tief gläubige estnische Komponist Arvo Pärt gehört zu den zentralen Figuren der zeitgenössischen Komponisten, deren Musik man mit dem Begriff "Minimalismus" bezeichnet, die sich also auf wenige Strukturen konzentriert, Material aus musikalisch früheren Zeiten aufnimmt und den Eindruck des immer schon Bekannten, Beheimatenden und Beruhigenden erzeugt: "Ich arbeite mit wenig Material, mit einer Stimme, mit zwei Stimmen. ich baue aus primitivstem Stoff". Pärt beschreibt seinen eigenen, sehr expressiven und geradezu betörenden Stil als „Tintinnabuli-Stil“, dem regelmäßigen und doch sich ändernden Klang der Glocken verwandt, als "Abglanz der Ewigkeit", als Musik, die im Tiefsten beim Hörer bereits bekannt ist, nur jetzt neu zum Ausdruck kommt. Seine Musik wird als neu empfunden, ohne dissonant zu sein, er versteht alle seine Kompositionen als "Passionsmusik", ohne sie allein im Aufschrei der Gequälten zu verankern. Diese Musik kommt von weit her, sie überredet nicht, sondern spricht von dem, was verloren scheint. "Die Wahrheit ist schon längst formuliert worden. Nur unsere fühllosen, erstarrten Augen und Ohren verlangen eine moderne Explosion", so Pärt selbst.
„Annum per annum“ wurde 1980 zum 900. Jubiläum des Speyerer Doms geschrieben und besteht aus fünf Teilen, die eine Art Variationen über einem sich in Sequenzen verändernden Cantus Firmus darstellen. Die Anfangsbuchstaben dieser Stücke K – G – C – S – A entsprechen den Teilen der Messe und symbolisieren, dass seit Jahrhunderten, also „annum per annum“ (Jahr für Jahr) im Dom zu Speyer Gottesdienst gefeiert wird. Einleitung und Coda als Crescendo bzw. Decrescendo eines einzigen Akkords, zu Beginn bis zum Verlöschen des Klangs nach Abschalten des Motors geführt, rahmen das Stück, das auch zum Weisendorfer Jubiläum und der langen Gottesdiensttradition dort zu passen scheint.

Die abschließende Improvisation geht von der Form einer romantischen Orgelsymphonie aus und legt ökumenische Choräle und Lieder zugrunde. Die Musik wird wirklich vollständig aus dem Augenblick geboren, lediglich die Lieder werden vorher festgelegt.

CRMorath